Geschichte

Die Kirmes in unseren thüringischen Dörfern.

Seit alter Zeit ist auf den Dörfern die Kirmse das bekannteste und am weitesten verbreitete jährliche Volksfest in Thüringen. Kirmse ist der landläufliche Ausdruck für die Kirchweihe oder auch Kirchmesse, also ein kirchliches Fest, welches zum Gedächtnis an die Weihe der Kirche des Ortes erinnern sollte. Seit dem 7. Jh. wurden selbige sogar vom Papst Gregor I. (590 – 604) erstmalig angeordnet. Er wollte, daß an Weihtagen der Kirche und an den Geburtstagen der Märtyrer und Heiligen festliche Mahle mit religiösen Handlungen stattfinden sollten. Sehr zum Verdruß der katholischen Kirche verweltlichte sich im Mittelalter diese Gedenkfeier immer mehr. Vom protestantischen Norden drang dies nach dem Süden, wurde zu einem ausgelassenen Fest und hatte so mit der Kirchweihe oft nichts mehr zu tun. Die Feier erfolgte nun, wenn die Felder abgeerntet, die Scheunen gefüllt und auch, ob viel oder wenig, geschlachtet wurde. Nach Abschluß des Wirtschaftsjahres hatten die Knechte und Mägde ihren kargen Jahreslohn erhalten, ein Anlaß zum unbeschwerten, gemeinsamen feiern. Es ist also ein verschmelzen zwischen Erntefest und Kirchweihe eingetreten, der Tag der Einweihung der Kirche des Ortes spielte keine Rolle mehr. Bei uns in Thüringen ist der früheste Hinweis auf die Kirmse aus dem Jahre 1259. Der Markgraf Heinrich der Erlauchte von Meißen, der 8. Landgraf von Thüringen (1247 – 1265), berichtete damals dem Erzbischof von Mainz, daß die Tage der Kirchweihen Thüringen zum Schaden gereiche. Die üblen Gewohnheiten führten zur Völlerei, Streit und sogar zu Totschlag und darüber hinaus zu vielen Fehden zwischen Bürgern, sogar Edlen und Magnaten. Der Landgraf schlug vor dieses Fest in Thüringen künftig an einem einzigen Tage, nämlich acht Tage nach Martini, zu feiern.
In der Landesordnung für Thüringen, welche die beiden wettinischen Brüder Ernst und Albert im Jahre 1482 erlassen hatten, beschränkten sie zwar nicht die Dauer der Kirchmesse, aber die „Gasterei“. Das Fest führte zu einer Zusammenkunft der Verwandten aus verschiedenen Orten, nicht nur der Bürger und freien Bauern sondern besonders der Untertanen, der erbuntertänigen Bauern . Für letztere war aber der heran gesehnte Tag an welchem sie ohne die tägliche Not und Qual, zusammen fröhlich sein konnten.
Nach dieser Landesordnung nun durfte kein Bürger oder Bauersmann zur Kirchmesse mehr als 15 Personen laden und diesen nur 2 vorgeschriebenen Mahlzeiten bieten. Ungebeten sollte niemand kommen.
Die Kirchweihe war aber nicht nur auf Thüringen beschränkt. Dies wird in einer Erzählung von Hans Sachs (1494 – 1576) aus Tettelbach ( bei Nürnberg) erkennbar.
In den Orten des Kreises Gotha, so auch bei uns in Gierstädt wird sie alljährlich sicherlich schon seit Jahrhunderten durchgeführt. Die Herkunft geht auch hier auf die Katholische Zeit zurück. Es ist die alte Kirchmesse, die bei Gelegenheit der Kirchweihe, gleich ob Neubau oder Wiederherstellung oder zur Erinnerung an die Heiligen vom Priester in der Kirche gelesen wurde. Doch gibt es auch Ansichten, daß lange vorher, aus der germanischen Mythologie kommend, ähnlich dem Julfest, dem Fest der Ostara, die Kirmes auch ein Rest eines Herbstfestes sein könnte. Damals, nach Abschluß der Kornernte, der Weidezeit traf man sich in einer Volksversammlung, führte Beratungen, hielt Gericht und feierte bei festlichem Mahl.
Trotz der Not in den vergangenen Jahrhunderten blieb die Dorfkirmes ein ausgelassenes Fest. In der Landesordnung von Herzog Ernst den Frommen (1640 – 1649) ist erneut bestimmt: “Ob auch wohl die Fürstliche Herrschaft den Untertanen ihre Freude gerne gönnen tut“, erfolgten von ihm die . entsprechenden Einschränkungen, neben der Bestimmung zu welcher Zeit die Dorfkirchmessen zu halten seien und wie die Bauern dabei zu speisen hätten. Bei Überschreitung der „Verbrechung“ wurden hohe Geldstrafe angedroht. Genaue Instruktionen gab es für die Schultheißen zur Beaufsichtung der Untertanen bei den Kirchmessen, „Im Kirchen- und Schulenstaat Gotha“ schreibt Brückner 1757, daß in Gierstädt das Kirchweihfest auf den Dienstag nach Galli ( Mitte Oktober) zelebriert worden ist.
Jede neu herausgegebene Landesordnung ( damaliges Gesetz) enthält erneut Bestimmungen oder wiederholte die alten für die Kirmes. Noch vor der bürgerlich demokratischen Revolution, wurde im Herzogtum Gotha im Jahre 1844 ein Gesetz erlassen, welches die Dauer auf zwei Wochentage , Dienstag und Mittwoch, beschränkte. In sämtlichen Waldorten sollte die Kirmes in der zweiten Woche im November, in den Landorten eine Woche später erfolgen. Die Kirchweihpredigt dazu sollte am Sonntag vorher gehalten werden. Aber an diesem Sonntag durfte weder Musik noch Tanz stattfinden. Den Dörfern war diese erneute Einschränkung nicht recht und der Herzog hat sicher auch auf die herannahenden Bewegungen von 1848, schon vorher die Bestimmungen gelockert. Jetzt durfte am Dienstag vormittag doch eine besondere Predigt gehalten werden. Jedoch während des Gottesdienstes durfte keine Störung im Ort vorkommen und die Lustbarkeiten auch erst nach völliger Beendigung der kirchlichen Feier beginnen.
Auch die Preußische Regierung im benachbarten Erfurter Gebiet war sehr energisch um den „Mißbräuchen“ bei der Feier der Kirchweihfeste auf dem Lande entgegen zu treten „Die Nachteile für die Sittlichkeit und Wirtschaftlichkeit der ländlichen Bevölkerung seien möglichst zu beseitigen“ In gebetsmühlenartiger Weise wurde auch in Preußen immer wieder auf die Gesetze hingewiesen oder selbige erneuert .
Auf „Höchsten Befehl“ kam 1861 im Herzogtum Sachsen-Coburg Gotha eine weitere Verordnung heraus. Die wichtigsten Punkte hierbei waren, daß das Kirchweihfest künftig nicht am Dienstag, sondern nun am Sonntag beginnen sollte. Der Termin, festgeschrieben von Mitte September bis Ende November, mußte vom Ortsvorstand und dem Ortsgeistlichen festgelegt und mindestens 4 Wochen vorher der vorgesetzten Behörde angezeigt werden. Sollte es keine Einigung über den Zeitpunkt erfolgen, bewirkte die landrätliche Behörde mit dem betreffenden Ephorus die Festsetzung des Zeitpunktes.
In Gierstädt war es von da an immer der Sonntag nach Michaelis (29.9.) an dem die Kirmes gefeiert wurde. Im Jahre 1892 wurde aber eine Verlegung auf den 3. oder 4. Sonntag im Juli beim Landratsamt Gotha beantragt. Es wurde hier geltend gemacht, daß zu viele weltliche Feste (Kriegerverein, Obstbauverein, Landwirtschaftlicher Verein usw.) hier im Ort gefeiert würden. Die Einwohner hätten durch die zahlreichen Gäste, ( die zahlreiche Verwandtschaft von Nah und Fern kam immer zusammen) zu große Ausgaben. Bekannt ist ja, daß gut gegessen wurde, auch die großen runden Kuchen gehörten dazu. Die insgesamt für Thüringen damals typischen schön bemalten Kuchenbretter künden mindestens noch in den Museen aus dieser Zeit vor 100 Jahren. Der Antrag von Gierstädt beinhaltete, daß eine Verbindung zwischen dem inzwischen jährlich gefeierten Kischfest und der Kirmes erfolgen sollte. Es dauerte fast ein Jahr, aber der Antrag wurde im August 1893 genehmigt.. Doch das Jahr 1893 war ein Jahr der großen Trockenheit mit niedrigen Erträgen der bäuerlichen Betriebe, einer Teuerung und der damit allgemeinen großen Not. Man nahm daher in diesem Jahr von der Kirmesfeier abstand. So war es das nächste Jahr, 1894, wo man in Gierstädt zum ersten Male keine Herbst, sondern eine Sommerkirmes feierte. Das Fest war am 15. und 16. Juli begünstigt durch das gute Wetter, zur besonderen Freude der Gastwirte, von auswärts gut besucht. und somit gelungen. Mit diesem Erfolg hatten die Gegner der Sommerkirmes ihre Vorbehalte und Trümpfe verloren.
Die Kirmes fand ansonsten jedes Jahr statt, die Jahre des ersten und zweiten Weltkrieges natürlich ausgenommen. Doch 1946 war in Gierstädt wieder Kirmes. Die aus dem Krieg übrig und jung gebliebenen, welche sie nur in Erinnerung hatten, wollten noch mal „Kirmesburschen“ sein. Es war im Grunde nur ein Kirmestanz, Freude kam sowieso nicht recht auf und Essen und Trinken war auch auf dem Dorfe nicht im Überfluß vorhanden. Langsam hat die Kirmes aber an Umfang zugenommen. Jetzt ist sie Mitte August und beginnend am Freitagabend mit dem Kirmesgottesdienst. Dann steht wie eh und jeh die Gaststätte „Zum goldenen Lamm“ im Mittelpunkt. Das „Ständchen“ mit zur Kirmes, wo fast vor jedem Haus die Kapelle einen Musikwunsch erfüllt und dafür mit einer Spende gedankt wird. Dazu ist seit <<< das „Seifenkistenrennen gekommen, der Kegelverein hat seine Bahn geöffnet und ein Schwimmfest im Freibad rundet auch die sportliche Seite ab. Für jeden wird so etwas geboten, also wie früher „Völlerei“ (Vollsaufen, Fressen, Üppigkeit), Streit und anderes Üble steht dies heute nicht im Mittelpunkt.

Wenn viele alte Dorffeste inzwischen nicht mehr bestehen, sie nur noch aus Erzählungen bekannt sind, gibt es aber auch neue Festlichkeiten in Gierstädt, sei es ein Apfelfest, Waldfest, auch Fasching wird seit 3 oder 4 Jahrzehnten, Wasungen ausgenommen, mehr und mehr in den Orten begangen. Gierstädt als kleinerer Ort hat hier kaum Möglichkeiten dazu. Größere Orte haben hier für die Faschingfeier bessere Möglichkeiten. Wie die Zeitungen berichten ist die Faschingfeier sogar „ Shows nach dem Geschmack der Teenies und Twens“ und auch Kids nehmen daran teil.
Kirmes wird aber ungeachtet als gute Tradition weiter bestehen. Weiterbestehen, weil immer neue Kirmesmädchen und -burschen heranwachsen, von den älteren Unterstützung finden und sich dazu noch etwas Neues einfallen lassen..